Lässt sich Multiple Sklerose durch Zerstörung des Immunsystems heilen?

Weltweit leiden etwa zwei Millionen Menschen an der Autoimmunkrankheit Multiple Sklerose (kurz: MS). Bei dieser bisher unheilbaren Krankheit greifen Immunzellen die Myelin-Hüllen der Nerven an und lösen so Entzündungen im Gehirn und am Rückenmark aus. Harold Atkins und seine Kollegen von dem Ottawa Hospital Research Institute haben nach einem völlig neuen Ansatz gesucht, um Multiple Sklerose zu heilen: Dem kompletten Austausch des Immunsystems.
Für diese Therapie erhalten die Patienten zunächst ein Mittel, dass die blutbildenden Stammzellen dazu veranlasst aus dem Knochenmark ins Blut überzugehen. Anschließend werden sie durch eine Blutabnahme isoliert und eingefroren. Im nächsten Schritt folgt eine aggressive Chemotherapeutika, die das Immunsystem des Patienten vollständig zerstört. Damit werden auch die Information und die Zellen vernichtet, die zu dem fehlerhaften Angriff auf das eigene Immunsystem verantwortlich sind. Während dieser Zeit sind die Patienten gegen Infektionen völlig ungeschützt und müssen daher in absoluter Isolation bleiben. 70 Prozent der Patienten zeigten nach der kompletten Immunablation und anschließender Stammzelltransfusion über rund sieben Jahre hinweg keine neuen MS-Zeichen. Selbst lange bestehende Behinderungen bildeten sich bei einem großen Teil der Patienten zurück.
Ob die Patienten tatsächlich geheilt sind, lässt sich erst in einigen Jahren mit Sicherheit beantworten. Des Weiteren war die Studie sehr klein angelegt mit gerade einmal 24 Patienten. Es spricht aber vieles dafür, dass mit dieser Methode eine Heilung möglich ist. So traten bei keinem der Patienten neue Schübe auf, auch wurden keine neuen MRT-Läsionen beobachtet. Sämtliche entzündliche Aktivität im Gehirn war offenbar ausgelöscht. Allerdings schritt bei 30 Prozent der Patienten die Krankheit vorran. Dies lässt sich wahrscheinlic dadurch erklären, dass  sich neurodegenerative Prozesse verselbstständigt haben, die auf eine Immunablation nicht mehr ansprechen.
Da eine Immunablation allerdings sehr riskant ist, würde kaum ein Arzt diese Methode in  eine komplette Immunablation bei MS-Kranken zu erwägen, die nicht mit konventionellen Methoden austherapiert sind. Ein Heilmittel gegen MS könnte folglich aus einer selektiven Immunablation bestehen, die möglichst früh im Krankheitsverlauf alle autoaggressiven Immunzellen vernichtet, aber das übrige Immunsystem in Ruhe lässt. Dies ist längst kein Wunschdenken mehr, die Forschung ist hier auf einem guten Weg.
12. Juli 2016