Außerklinische Beatmungspflege bei einer Palliativpatientin aus der Sicht der Pflegekräfte

Frage: Was ist der Vorteil für den Patienten bzw. Kunden bei der Heimbeatmung gegenüber der stationären Intensiv- und Beatmungspflege?Pflegekraft Michaela-Ruth: In erster Linie bleibt für den Betroffenen die gewohnte Umgebung erhalten, mit den gewohnten Menschen im Umfeld und dadurch auch die Selbstbestimmung in allen Lebenslagen. Die Vorstellung, im hohen Alter, zum Beispiel mit siebzig, in eine WG zu ziehen, wo man sich die drei Mitbewohner noch nicht einmal aussuchen kann … Das wäre für mich unvorstellbar!

Pflegekraft Viktoria:
Der Kunde hat alle Rechte. Nichts passiert ohne seine Zustimmung. Sei es ärztliche Behandlung, pflegerische Leistung oder die Freizeitgestaltung. Er legt fest, wann und mit wem welche Maßnahme erfolgt. Es gibt hier keine Gespräche oder Entscheidungen über den Kunden, sondern nur mit ihm. Die Privatsphäre hat oberste Priorität.

Frage: Wie kann denn zum Beispiel Frau Müller ihr Befinden äußern?

Pflegekraft Viktoria: Frau Müller kann sich gar nicht mehr verbal mitteilen. Trotzdem empfindet sie aber genauso wie wir Wut, Trauer, Schmerzen; sie kann zwar nicht mehr lächeln, aber an ihren Augen sehen wir, dass sie lächelt. Sie kann traurig sein, sie kann verärgert sein. Sie kann weinen, Enttäuschungen zeigen. Sie hat eine taktile Empfindlichkeit und eine Schmerzempfindlichkeit. Sie kann mit ihren Kindern zum Beispiel schmollen. Ihnen nur über die Augen zeigen, dass ihr etwas nicht gefällt. Alle diese Gefühle können aber nur Menschen deuten, die Frau Müller jeden Tag seit Beginn ihrer Krankheit erleben, wie ihre Familie, gute Freunde und wie wir Fachpflegekräfte, die schon von Anfang an dabei sind. Es ist für eine Patientin mit dem Krankheitsbild von Frau Müller ganz wichtig, dass sie feste Ansprechpartner hat. Für sie ist es schon schwer, sich jeden Tag von einer ihrer körperlichen Fähigkeiten zu verabschieden. In den letzten acht Jahren hat sie ja stetig abgebaut, wir nennen das hier die „1000 Abschiede“, deshalb ist es sehr wichtig, dass ihr nahes Umfeld, also ihre Familie, Freunde und auch der Pflegedienst ihr eine Stabilität bietet, die ihr Sicherheit und Halt gibt.

Frage: Gibt es etwas, was Frau Müller in diesem fortgeschrittenen Stadium ihrer Krankheit trotz Schmerzen und allen anderen Umständen noch sehr gerne macht?

Pflegekraft Michaela-Ruth: Selbstverständlich, Frau Müller ist ein riesengroßer Fußballfan: Sie liebt es, Fußballspiele im Fernsehen zu verfolgen. Man merkt sogar richtig, wie sie vor den Bundesligapartien am Wochenende vorschläft, um am Spieltag fit zu sein und die 90 Minuten vor dem Fernseher durchzuhalten. Ihr Mann ist dann oft bei ihr, das ist das, was sie mit ihrem Mann teilt: Er setzt sich an ihr Bett, legt seine Hand auf ihre und so schauen sie sich gemeinsam die Spiele an.

Pflegekraft Viktoria:
Ihr Puls geht dann hoch. Normalerweise hat Frau Müller einen Ruhepuls von 60 oder 65. Wenn sie sich aber freut, dann geht er hoch auf 70–75.

Frage: Was macht das Besondere an Frau Müller als Palliativpatientin aus?

Pflegekraft Michaela-Ruth: Frau Müller würde nie aufgeben. Sie würde nie aufhören zu kämpfen. Sie hängt an ihrem Leben, an ihrem Mann, ihren Kindern und Enkelkindern. Sie möchte so lange wie möglich am Familienleben teilnehmen. Jetzt hat sie gerade den eisernen Willen entwickelt, mitzubekommen, wie ihr erstes Enkelkind im Sommer eingeschult wird.

Pflegekraft Viktoria:
Wenn wir uns vorstellen, das Leben wäre ein Korridor, dann ist der Korridor von Frau Müller ein ganz, ganz schmaler. Sie hat wirklich alle ihre Fähigkeiten schon verloren und deshalb konzentriert sie sich jetzt voll und ganz auf ihre Krankheit, um das Beste an Lebensqualität aus ihr machen.   Frau Müller weiß, dass sie eines Tages sterben wird. Wir können aber nicht genau sagen, wann es soweit sein wird. Es kann morgen soweit sein, in drei Wochen oder in zwei Jahren. Es ist unsere Pflicht, sie immer wieder abzulenken von den trüben Gedanken und ihr Freude zu bereiten.

Frage: Wie gehen Sie persönlich mit dem Thema Tod ihrer Patientin um?

Pflegekraft Michaela-Ruth: Es ist nicht einfach, Abschied zu nehmen, wenn man eine so enge Beziehung zum Kunden aufgebaut hat. Auch, wenn die berufliche Distanz dazwischen steht, baut man ein besonderes Verhältnis auf.
Frage: Können Sie gut abschalten?

Pflegekraft Viktoria: Das kommt darauf an, wie hier der Tag war. An manchen Tagen kann ich überhaupt nicht abschalten, an anderen besser. Irgendwann findet man auch für sich irgendwie eine goldene Mitte – auch, wenn es manchmal Monate oder Jahre dauert. Man wird ruhiger. Wenn es der Kundin gut geht, dann geht es einem selber auch gut.
Das komplette Interview finden Sie in den einzelnen Ausgaben der AirMediPlus, siehe: http://www.airmediplus.de/archiv.html

26. Februar 2014