Wie kann die Versorgung von Menschen mit schweren neurologischen Erkrankungen besser koordiniert und abgestimmt werden? Wie können Menschen mit Einschränkungen ihrer Sprechfähigkeit darin unterstützt werden, ihre Versorgung und ihren Lebensalltag aktiv mitzugestalten? Dies sind die zentralen Fragen des Vorhabens „ProDigA“, dessen Ergebnisse nun veröffentlicht wurden. Das Vorhaben wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und den Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert und vom Saarbrücker Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft (iso) koordiniert.
Seit einigen Jahren wächst die Zahl von Patient:innen mit einem Bedarf an außerklinischer Beatmung oder von Menschen, die einen Schlaganfall erleiden oder an Multipler Sklerose, Morbus Parkinson oder an einer Demenz erkranken. Ein Teil dieser Patient:innen muss mit einem Krankheitsverlauf leben, der schwere Beeinträchtigungen nach sich zieht. Hinzu kommen vergleichsweise seltene neurologische Krankheitsbilder wie Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) oder spinale Muskelatrophie (SMA), die zu fortschreitenden Lähmungen des Bewegungsapparats sowie der Sprech-, Kau- und Atemmuskulatur führen. Dadurch ergibt sich ein komplexer medizinischer, therapeutischer und pflegerischer Versorgungsbedarf. Doch durch neue technische Entwicklungen können unterschiedlich spezialisierte Dienstleister eine komplexe Versorgung auch im vertrauten Wohnumfeld ermöglichen.
Um diese umfängliche Versorgungssituation herzustellen und sie am Laufen zu halten, ist eine enge Abstimmung zwischen den Betroffenen und ihren Angehörigen sowie den am Versorgungsprozess beteiligten Ärztinnen und Ärzten, den Hilfsmittelanbietern, Pflegedienstleistern, Therapeut:innen etc. erforderlich. Nicht selten geraten Patient:innen bei der Koordination an ihr Limit. Daher war es ein wesentliches Ziel des Vorhabens ProDigA, die Abstimmung in der Versorgung zu unterstützen. Das interdisziplinäre Vorhaben wurde vom Saarbrücker Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft (iso) koordiniert und gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, der Charité Universitätsklinikum Berlin, der Ambulanzpartner GmbH, Talktools GmbH sowie mit dem Pflegewerk Berlin GmbH durchgeführt. Zur Verbesserung der Abstimmungs- und Versorgungsprozesse wurden verschiedene Maßnahmen entwickelt und erprobt.
- So wurde für Patientinnen und Patienten die Möglichkeit geschaffen, über einen Online-Registrierungsprozess selbständig der Plattform Ambulanzpartner beizutreten. Die Plattform ist ein Netzwerk von Dienstleistern wie Ärzt:innen, Therapeuten, Sanitätshäuser und Apotheken und koordiniert die Versorgung von neurologisch schwer erkrankten Menschen. Bisher war dieser Zugang nur über den behandelnden Arzt bzw. Ärztin möglich.
- Eine durch den Projektpartner Pflegewerk entwickelte Patienten-App schafft für Patient:Innen die Möglichkeit, Informationen, Hinweise und Wünsche zu ihrer persönlichen pflegerischen Versorgung und zu ihren persönlichen Neigungen, Vorlieben und Abneigungen in der Alltagsgestaltung an den Pflegedienstleister mitzuteilen, um so die Versorgung anzupassen.
- Zur Unterstützung der Interaktion mit den Patienten wurde ein Praxisleitfaden für das Personal in Gesundheitseinrichtungen entwickelt. Er gibt Hinweise und Tipps für die Gestaltung schwieriger Kommunikationssituationen und soll so die Handlungssicherheit der professionell Helfenden verbessern.
- Im Rahmen der Ambulanzpartner-Plattform wurde begonnen, ein Service-Center neu aufzubauen, das für verschiedene Hilfsmittelkategorien herstellerunabhängige Informationen bietet und Patient:innen in die Lage versetzt, sich gut informiert für oder gegen (ein bestimmtes) Hilfsmittel zu entscheiden. Ergänzend wurde durch Ambulanzpartner ein aufsuchendes Versorgungsmanagement entwickelt. Dies bietet für Patient:innen einen Hausbesuch durch einen umfassend geschulten Mitarbeiter, welcher die Versorgungssituation überprüft und anhand der Situation vor Ort und der individuellen Bedarfe umfassend zu möglichen Hilfsmitteln berät sowie deren Beantragung unterstützt.
- Um das Geschäftsmodell von Plattformlösungen im Gesundheitswesen zu untermauern, wurden Methodiken entwickelt und dahingehend erweitert, Versorgungsplattformen als einen Zusammenschluss unterschiedlicher Akteure zu verstehen, welcher den Gegebenheiten, Bedarfen und den Motivationen der einzelnen Akteure sowie dem Netzwerk als Ganzem gerecht werden muss.
Die verschiedenen Module wurden durch die Partner des Projektverbunds entwickelt und zum Teil durch eine Patientengruppe getestet. Sie sollen nach Projektende weiter optimiert und in den Praxisbetrieb überführt werden.
Quelle: Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft e.V. (iso)
Titelbild: Symbolbild, geralt/pixabay
30. Mai 2023