Einige Jahre nach diesem schrecklichen Ereignis gab es dann auch bei mir die ersten Anzeichen für eine Atemmuskelschwäche im Lungenfunktionstest. Während meiner Reha 2005 in der Klinik Hoher Meissner legte mir der Chefarzt bereits nahe, mich mit dem Thema Beatmung anzufreunden. Aber ich hatte einfach unglaubliche Angst vor diesem Schritt, ich dachte, das sei der Anfang vom Ende, ich konnte mir nicht vorstellen, wie es ist, wenn eine Maschine die eigene Atmung übernimmt, man selber die Atmung völlig einstellen soll, um sich dem Gerät anzupassen. Im Jahr 2007 war es dann schließlich soweit; ich hatte Symptome wie Herzrasen, Beklemmungsgefühle in der Brust, Angst bis hin zu Panikattacken, Schweißausbrüche, Schwäche, Nervosität, Unruhe, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust… was alles zunächst auf eine Schilddrüsenüberfunktion geschoben wurde. Heute weiß ich, dass diese Symptome alle auch einer Ateminsuffizienz zugeordnet werden können. Meine Atemmuskulatur war jedenfalls zusätzlich geschwächt und ich machte mich auf die Suche nach einem Pneumologen, der sich auch mit Muskelkrankheiten auskannte. In meiner alten Heimat Duisburg wurde ich fündig; ich hatte großes Vertrauen in die Klinik und den behandelnden Oberarzt, dem es schließlich innerhalb von 5 Tagen, nach allen relevanten Untersuchungen, gelang, mich sehr behutsam und mit viel Geduld und Verständnis auf mein Beatmungsgerät einzustellen.
Zuhause habe ich mich sehr langsam an die Beatmung gewöhnt. Glücklicherweise hat mein damaliger körperlicher Zustand dies zugelassen. Da ich nicht in der Lage bin, die Arme zu heben, um mir im Notfall die Maske abzunehmen, hatte ich Angst, die Maske von Anfang an am Kopf zu fixieren und damit zu schlafen. So hat mein Mann sehr geduldig mit mir jeden Abend die Beatmung geübt, mir im Bett liegend die Maske angehalten, erst 10, dann 15, 30 Minuten, bis hin zu über einer Stunde. In der Zeit schlief ich also nachts noch ohne, ließ mich aber tagsüber für ein bis zwei Stunden am Tisch sitzend beatmen. Zweieinhalb Monate nach meinem Krankenhausaufenthalt hatte ich dann endlich Vertrauen gefasst und die Maske für eine ganze Nacht getragen. Eine billige Funktürglocke aus dem Baumarkt gibt mir seitdem die Sicherheit, mich im Bedarfsfall bemerkbar machen zu können.
Anfangs benutzte ich eine Nasen-Mund-Maske (sog. Fullface-Maske), nach einem halben Jahr ungefähr wurde mir aber schon eine Nasenmaske empfohlen, mit der das Sprechen und sogar Trinken während der Beatmung möglich ist. Diese hat auch dazu beigetragen, dass ich mich, wenn ich die Maske trage, nicht mehr so ausgeliefert und hilflos fühle.
Der positive Effekt der Beatmung hat sich bei mir sofort eingestellt. Besonders am Anfang habe ich mich morgens sehr erholt und sogar gekräftigt gefühlt. Bedingt dadurch, dass sich meine Atemmuskulatur nachts erholen kann, bin ich tagsüber wieder wesentlich belastbarer. Meine Panikattacken sind nahezu gänzlich verschwunden. Wir sind mittlerweile fast aktiver als zuvor, und sollte ich mal einen etwas schlechteren Tag haben oder wir einen ganzen Tag unterwegs sein, dann nehmen wir das Beatmungsgerät, das relativ klein und kompakt ist, einfach mit, was mir unglaublich viel Sicherheit gibt. Alternativ kann auch ein Ambubeutel (Beatmungsbeutel) mitgeführt werden.
Zweimal pro Jahr muss ich mich für ein bis zwei Nächte ins Krankenhaus zur Kontrolle begeben. Dort werden Lungenfunktionstests, Blutgasanalysen (BGA) am Tag sowie eine sog. Kapnographie (CO2-Messung durch die Haut) in der Nacht mit BGA durchgeführt. Ggf. kann auch eine etwas umfangreichere Untersuchung im Schlaflabor nötig sein. Alles jedoch ganz unkompliziert und schmerzlos. Meine Druckeinstellung musste bislang nur einmal nach oben angepasst werden, und seit Beatmungsbeginn sind auch meine Lungenfunktionswerte über Jahre ziemlich stabil geblieben.
Das Einzige, was bislang bei mir hin und wieder zu Problemen geführt hat, waren die Masken. Durch die Standard-Masken entwickelten sich bei mir Druckstellen und schmerzhafte Entzündungen auf der Nase und der Nasenwurzel, mit sog. Individualmasken, also maßangefertigten Masken, habe ich diese Probleme sehr gut in den Griff bekommen. Ich habe zudem die Erfahrung gemacht, dass man ab und zu die Masken wechseln sollte, da jede einzelne Maske andere Druckschwerpunkte hat. Das gilt für mich mittlerweile auch für die Kopfbänder (an denen die Maske befestigt wird), da ich auch schon mal leichte Druckstellen an den Ohren und am Hinterkopf habe. Da ich nur noch auf dem Rücken liegend schlafen kann, muss ich, was die Druckstellenbildung anbelangt, besonders vorsichtig sein.
So lautet mein Appell an jeden, der von einer fortschreitenden Muskelkrankheit bzw. einer sonstigen, die Atempumpe betreffenden Krankheit wie beispielsweise COPD, betroffen ist: sich frühzeitig mit dem Thema Beatmung auseinanderzusetzen, sich regelmäßig von erfahrenen Ärzten untersuchen zu lassen – dank Internet und auch der DGM (Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V., Freiburg) sind heute sog. Beatmungszentren bzw. spezialisierte Ärzte besser auffindbar. Denn nur so hat man die Möglichkeit, sich langsam an die Maske zu gewöhnen und sich mit dem Beatmungsvorgang vertraut zu machen. Dies könnte dann z.B. tagsüber im Sitzen, also in sicherer Position, passieren, dass man die Beatmung bewusst auf sich wirken lässt, somit die Angst überwindet und langsam den positiven Effekt dieser Therapie kennenlernen kann. In einer Akutsituation, meist verbunden mit extremer Atemnot und Panik, ist eine Maskenbeatmung nach meinem Kenntnisstand oft nicht mehr möglich.
Seit Anfang 2012 bin ich Kontaktperson der DGM; ich möchte mich mit meiner persönlichen Erfahrung und dem auf Fortbildungen und Kongressen erworbenen Wissen in Sachen Beatmung einbringen. Mein Ziel ist, den Betroffenen die Angst vor dem Schritt hin zur Beatmung zu nehmen und ihnen somit die Möglichkeit für mehr Lebensqualität aufzuzeigen. Meine Kontaktdaten finden Sie unter www.dgm.org.
Ursula Sixter-Grasse
Quelle: AirMediPlus – Magazin für außerklinische Beatmung, Ausgabe 3/16 (pdf)