Krankheit und betriebliches Eingliederungsmanagement

Seit dem 01.05.2004 ist in § 84 Abs. 2 SGB IX das betriebliche Eingliederungsmanagement geregelt. Nach § 84 Abs. 2 SGB IX sind Arbeitgeber seither verpflichtet, ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anzubieten, wenn ein Beschäftigter innerhalb eines Jahres mehr als 6 Wochen arbeitsunfähig erkrankt ist. Dabei ist es unerheblich, ob diese Krankheitstage zusammengerechnet oder am Stück den 6-Wochen-Zeitraum überschreiten. Die Ziele des BEM sind nach § 84 Abs. 2 SGB IX: Die Überwindung der bestehenden Arbeitsunfähigkeit, die Vorbeugung weiterer Arbeitsunfähigkeit und der Erhalt des Arbeitsplatzes. Das BEM soll insoweit insbesondere abklären, ob es für die Arbeitsunfähigkeit betriebliche Ursachen gibt.
Ein einfaches Beispiel wäre hier, dass bei Problemen mit der Wirbelsäule oder Bandscheibe eine Hilfestellung durch den Arbeitgeber unproblematisch dadurch erfolgen kann, dass Arbeitserleichterungen geschaffen werden, wie zum Beispiel ein ergonomischer Stuhl, ein Stehpult oder andere Hilfsmittel zur Bewältigung der vom Arbeitnehmer zu erbringenden Arbeitsleistung. So soll eine erneute Arbeitsunfähigkeit vermieden werden und die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers soll gesichert werden. Eine Kündigung aufgrund von Krankheit soll insoweit vermieden werden, beziehungsweise stets nur das letzte Mittel sein, was dem Arbeitgeber überhaupt noch zur Verfügung steht. Voraussetzung für die krankheitsbedingte Kündigung ist zunächst, dass der Arbeitnehmer aus Gründen der Krankheit, die er letztlich nicht beeinflussen kann, nicht mehr in der Lage ist, künftig eine vertragsgerechte Leistung zu erbringen.Zu unterscheiden sind hierbei wiederum grundsätzlich Krankheiten, die entweder lang andauern, häufig auftreten oder zu einer Leistungsminderung auf Dauer führen. Unter Krankheit im medizinischen Sinn versteht man nach dem derzeitigen Erkenntnisstand der Wissenschaft einen ärztlich diagnostizierbaren, nach außen in Erscheinung tretenden, auf die Funktionstauglichkeit abstellenden Körper- oder Geisteszustand, der in der Regel durch eine ärztliche Heilbehandlung behoben, gelindert oder zumindest vor einer drohenden Verschlimmerung bewahrt werden kann. Unabdingbar hat der Arbeitgeber vor Ausspruch der krankheitsbedingten Kündigung festzustellen, ob der Arbeitnehmer auch künftig nicht in der Lage sein wird, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, der Arbeitgeber muss also insoweit eine sogenannte negative Gesundheitsprognose stellen.

Der Arbeitgeber hat zudem zu prüfen, ob die gegebene Störung des Arbeitsverhältnisses durch eine Änderung der Arbeitsbedingungen aufgehoben oder der Arbeitnehmer durch zumutbare Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen an einem anderen freien Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden kann, § 1 Abs. 2 S. 2, S. 3 KSchG. Außerdem sind im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung die betrieblichen und wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers gegen das Schutzinteresse des Arbeitnehmers abzuwägen. Hinzu kommt, dass, wenn der Arbeitnehmer länger als 6 Wochen krank ist, der Arbeitgeber seit dem 01.05.2004 das eingangs geschilderte betriebliche Eingliederungsmanagement anbieten muss.

Entscheidet sich der Arbeitgeber zu einer krankheitsbedingten Kündigung, muss er in einem eventuellen gerichtlichen Kündigungsschutzverfahren nachweisen, dass er alle Möglichkeiten den Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen überprüft hat und hier aber alle Arbeitsversuche keinen Erfolg brachten. Den Nachweis könnte der Arbeitgeber gegebenenfalls mit einem durchgeführten BEM-Verfahren erbringen, sofern ein solches denn ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Der Inhalt und die Zielrichtung des betrieblichen Eingliederungsmanagements unterscheiden sich in der Regel danach, ob es sich um einen langzeiterkrankten Beschäftigten handelt oder ob häufige Kurzerkrankun gen das Problem darstellen.

Haben die Krankheit oder auch die häufigen Krankheiten innerbetriebliche Ursachen wie z. B. Überforderung, Konflikte am Arbeitsplatz, Mobbing, Schwere der Tätigkeit, äußere Arbeitsbedingungen, belastende Arbeitszeiten und ähnliche Ursachen, ist hier jeweils die krankmachende Ursache möglichst abzustellen. Die Möglichkeiten hierzu sind vielfältig und reichen von technischen Veränderungen des Arbeitsplatzes bis hin zu Versetzungen. Auch kommt als weitere Maßnahme im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements die stufenweise Wiedereingliederung in Betracht, § 74 SGB V; § 28 SGB IX. Ist der Beschäftigte schwerbehindert i. S. d. SGB IX, so sollte auf jeden Fall das Integrationsamt hinzugezogen werden, welches auch Hilfestellung geben sollte. Die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) ist für den Arbeitgeber also gesetzliche Pflicht. Bei der Ausgestaltung und Durchführung des BEM hat die betriebliche Interessenvertretung, sofern vorhanden, ein Mitspracherecht. Zu den betrieblichen Interessenvertretungen zählen vor allem der Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung. Die Verletzung der Pflicht zum Angebot und gegebenenfalls zur Durchführung des BEM ist für Arbeitgeber nicht unmittelbar sanktioniert. Für seine Berechtigung, die krankheitsbedingte Kündigung zu erklären, hat ein unterlassenes BEM jedoch weitreichende Konsequenzen. Für Details sollte hier im konkreten Fall Rechtsrat eingeholt werden.

Rechtsanwältin Sandra Mihatsch, Fachanwältin für Medizinrecht
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Quelle: AirMediPlus Ausgabe 3/16

21. Oktober 2016