Neues Urteil zum Wohl der Patienten

Am 2. März 2017 entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in einem Urteil (Aktenzeichen 3 C 19.15), dass schwer und unheilbar kranken Patienten der Zugang zu einer tödlichen Dosis Schmerzmitteln unter bestimmten Umständen nicht verweigert werden darf. Dabei verweist das Bundesverwaltungsgericht auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht, welches in Artikel 2 des Grundgesetzes verankert ist. Nach Ansicht des Gerichtes umfasst das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht nur das Recht auf Suizid oder Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen, sondern auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Patienten zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben beendet werden soll. In extremen Ausnahmesituationen darf der Staat den Zugang zu einem Betäubungsmittel nicht verwehren, das dem Patienten eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht.

Der Entscheidung lag ein Fall zugrunde, der die deutschen Gerichte über mehrere Instanzen, und auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, beschäftigte: Die Ehefrau des Klägers litt seit einem Unfall unter einer hochgradigen fast kompletten Querschnittslähmung. Sie war vom Hals abwärts gelähmt, musste künstlich beatmet werden und war auf ständige medizinische Betreuung und Pflege angewiesen. Häufige Krampfanfälle verursachten starke Schmerzen. Wegen dieser von ihr als unerträglich und entwürdigend empfundenen Leidenssituation hatte sie den Wunsch, aus dem Leben zu scheiden.

Ihren Sterbewunsch hatte sie mit ihren Angehörigen, aber auch mit den behandelnden Ärzten und Therapeuten, den Pflegekräften und einem Seelsorger besprochen. 2004 beantragte sie beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels. Das BfArM lehnte den Antrag ab, weil eine Erlaubnis mit dem Ziel der Selbsttötung vom Zweck des Betäubungsmittelgesetzes nicht gedeckt sei.

Die Ehefrau reiste letztendlich in die Schweiz und nahm sich dort das Leben. Der Ehemann klagte nach dem Tod der Frau weiter, die Klage wurde in mehreren Instanzen abgewiesen, das Bundesverfassungsgericht wies die eingelegte Verfassungsbeschwerde ebenfalls ab. Allerdings entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Urteil vom 19. Juli 2012, dass der Ehemann aus dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) einen Anspruch darauf habe, dass die nationalen Gerichte die Klage prüften.

In dem darauf wieder aufgenommenen Verfahren wurde die Klage erneut abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht jedoch entschied nun zu Gunsten des Ehemannes, dass der Staat in extremen Ausnahmesituationen den Zugang zu einem Betäubungsmittel nicht verwehren darf, das dem Patienten eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht.

Welche Konsequenzen hat das Urteil für die Intensiv- und Beatmungspflege?

Nach den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes ist es grundsätzlich nicht möglich, den Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung zu erlauben. Allerdings ist nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes unter Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechtes eines Patienten in Extremfällen eine Ausnahme für schwer und unheilbar kranke Patienten zu machen, wenn sie wegen ihrer unerträglichen Leidenssituation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen und ihnen keine zumutbare Alternative – etwa durch einen palliativmedizinisch begleiteten Behandlungsabbruch – zur Verfügung steht. Ihnen darf der Zugang zu einem verkehrs- und verschreibungspflichtigen Betäubungsmittel, das eine würdige und schmerzlose Selbsttötung erlaubt, nicht verwehrt werden.

Die Umsetzung dieser Gerichtsentscheidung wirft allerdings noch weitere Fragen auf. Denn der Bundestag hat im Dezember 2015 mit dem § 217 des Strafgesetzbuches (StGB) die Bestimmungen für eine assistierten Suizid verschärft. Danach ist die „geschäftsmäßige“ Beihilfe zum Suizid unter Strafe gestellt. Damit soll die Tätigkeit von z. B. Sterbehilfevereinen in Deutschland unterbunden werden. Wird der Begriff „geschäftsmäßig“ als „wiederholtes Tätigwerden“ ausgelegt, würde sich jeder Arzt bei der zweiten Assistenz zum Suizid strafbar machen. Dies könnte auch bei der wiederholten Verordnung von Betäubungsmitteln zum Zwecke des Suizids in Ausführung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes der Fall sein. Hier ist der Gesetzgeber aufgefordert, Klarheit zu schaffen.“

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Bärbel Schönhof
Rechtsanwältin und Fachanwältin für Sozialrecht
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15. Februar 2018