Die logopädische Intervention beinhaltet sowohl zunächst das Anbahnen von oralen Reflexen sowie der späteren Überlagerung. Im Bereich der Atem-Schluck-Koordination werden Atmung und Schlucken durch gezielte Arbeit an den maßgeblichen Muskeln behandelt. Die Saug-Schluck-Koordination wird angebahnt und die Qualität des Saugens verbessert.Nicht immer sind die Anzeichen deutlich erkennbar. So bekommen Säuglinge mit leichten Trinkschwächen und einer daraus resultierenden drohenden Entwicklungsverzögerung eine naso-gastrale Sonde gelegt. Auf diese Weise wird natürlich die Entwicklungsverzögerung verhindert, da das Kind genug Nährstoffe erhält. Andererseits aber fehlt dann die Förderung der Saug- und Schluckbewegungen. In einer spiralförmigen Bedingungskette muss immer mehr Nahrung sondiert werden. Der Säugling würde von einer logopädischen Therapie profitieren. In diesem Rahmen wird neben dem Muskelaufbau auch die Saugleistung und die Atemkoordination im Verhältnis zur Schluckleistung betrachtet und entsprechend bearbeitet. Dem Säugling wird ein korrektes Atem-Saug-Schluck-Muster nahegebracht.
Natürlich ist nicht in allen Fällen ein absolut korrektes Atem-Saug-Schluck-Muster zu erreichen. Vor allem viele Syndrome beinhalten häufig stark reduzierten Körpertonus, Sättigungsabfälle und Lungendeprivationen. Daraus entwickeln sich Sensibilitätsprobleme im oralen Bereich. Das kann zum Beispiel ein nicht rückverlagerter Würgereflex sein. Das Kind ist nicht in der Lage, Nahrung in den Mund zu nehmen ohne Anzeichen von Erbrechen zu erleiden.
Vielfach kann nur eine angepasste orale Nahrungsaufnahme erreicht werden. Je schwerer ein Kind betroffenen ist, desto schlechter ist die Prognose für einen ungehinderten oralen Kostaufbau. In diesen Fällen muss kompensatorisch die bestmögliche Schluckstrategie erarbeitet werden. Auch geringe Teilmengen oraler Nahrungsaufnahme sorgen schon für eine verbesserte Mundflora, sodass die bekannten Probleme der Schleimhautentzündungen, der Zahnfleischentzündungen und allgemeiner Borkenbildung zumindest reduziert werden können. Ebenso kann durch die Aktivierung der Kaubewegungen eine Zahnfehlstellung vermindert werden.
Häufig ist auch der eigentliche Schluckvorgang, also das Geschehen, wenn die Nahrung den hinteren Mundhöhlenbereich erreicht, beeinträchtigt. Defizite in diesem Bereich führen verstärkt zu Aspirationen. Viele Kinder, bzw. Patienten schlucken kompensatorisch. Dies verhindert zumindest häufig bis meistens ein Eindringen von Nahrung in den Bolus, geht aber mit einer eingeschränkten Qualität der Nahrungsaufnahme einher. Der Patient ist so mit dem Schlucken beschäftigt, dass er Geschmack und Sättigung gar nicht mehr richtig wahrnimmt. Zudem ist kompensatorisches Schlucken, das nicht logopädisch angebahnt wurde, oft sehr kräftezehrend. In der Therapie lernen die Patienten ein angepasstes sicheres Schluckmuster, das möglichst ökonomisch ist.
In der Medizin wird Schlucken in verschiedene Phasen eingeteilt. Die grobe Einteilung besteht aus der oralen Vorbereitungsphase, der oralen Transportphase, der pharyngealen Phase und der ösophagealen Phase. Störungen in einzelnen Phasen führen durch intensive und gezielte Diagnostik zu Therapieschwerpunkten.
Folgende Symptome und Anzeichen sind Indikator für logopädische Interventionen in veränderlicher Schwerpunktsetzung:
– Reduzierter Tonus des Gesamtkörpers Auch die Muskulatur der Nahrungsaufnahme ist betroffen
– Sensibilitätsstörungen im orofacialen Bereich Aufgenommene Nahrung kann nicht in Hinblick auf Konsistenz, Temperatur und Örtlichkeit korrekt wahrgenommen werden
– Reduzierter orofacialer Tonus Nahrung kann nicht zerkleinert und transportiert werden
– Reduzierte orale Reflexe und Reaktionen Ein schwacher Suchreflex führt zu verringerter Nahrungsaufnahme, reduzierte Hustenreflexe führen zu fehlerhaften Kehlkopfreinigungen
→ Aspirationsgefahr
– Desorganisiertes Saugmuster Verminderte Menge der Nahrung durch häufiges Aus-dem-Mund-laufen der Milch
– Saug-, Schluck- und Atem-Koordinationsschwierigkeiten Verminderte Nahrungsaufnahme durch kräftezehrende Deskoordination
– Verlängerte Schluckapnoen Schnelle Erschöpfung durch abfallende Sättigung
– Verzögerungen der Kauentwicklung Verminderung der Nahrungsmengedurch fehlende rotierende dreidimensionale Bewegungen des Unterkiefer
Dem zufolge gibt es je nach Betroffenheit und Alter des Kindes verschiedene logopädische Ziele:
+ Unterstützung von natürlichen Bewegungen des Frühchens zum Aufbau des Gesamtkörpertonus
Der wache Säugling wird unter korrekter Lagerung und Beachtung der Kanülen und Anschlüsse des Überwachungs-Equipment in seinen Bewegungen unterstützt. Der Therapeut führt nacheinander Hände und Füße. Dabei achtet er auf Gegendruck und lässt Gegenrichtungen zu. Insgesamt führt er Hände und Füße Richtung Mund. Dabei wird auch die natürliche Neigung von Säuglingen, Finger und Zehen in den Mund zu stecken, unterstützt.
+ Aufbau einer physiologischen Sensibilität
Mithilfe von thermischen Reizen und Vibrationen wird die Sensibilität des oralen Bereiches aktiviert und geschult. Die Wahrnehmung verbessert sich. Temperatur, Konsistenz und Örtlichkeit der Nahrung können besser wahrgenommen und entsprechend korrekter kann der Bolus geformt und transportiert werden.
+ Aufbau eines orofacialen Eutonus
Auch unter Einsatz von Vibrationen und Kräftigungs- und Dehnübungen wird die Muskulatur im gesamten orofacialen Bereich gestärkt.
+ Anbahnung oraler Reflexe und Reaktionen
Reduzierte Reflexe können durch gezielte Übungen verbessert werden. Übersteigerte Reflexe und Reaktionen können durch gezieltes sanftes Ausstreichen gemindert werden. Fehlende Reflexe sind meist nicht mehr wiederherstellbar. Aber entsprechende Reaktionen können durch Aufbau der entsprechenden Muskulatur angebahnt werden.
+ Anbahnung eines regulären Saugmusters auch bei bzw. gerade bei Sondenversorgung
Auch Kinder und generell Patienten mit Sondenversorgung gleich welcher Art sollen immer auch oral Kost angeboten bekommen. Bei stärksten Schluckstörungen muss zunächst ein verbessertes Schluckmuster erarbeitet werden. Aber auch hier kann die Arbeit mit Kausäckchen, die mit verschiedenen Lebensmitteln bestückt werden, zumindest das Empfinden für Nahrungsmenge und Geschmack deutlich verbessern. Zudem werden die Kaumuskeln aktiv angeregt und gestärkt. Bei Säuglingen kann ein kleines Mulltuch mit Milch oder Tee benetzt werden, sodass eine geringe Menge oral verarbeitet werden kann.
+ Verbesserung der Saug-, Schluck- und Atem-Koordination
Neugeborene haben nach ein paar Tagen gelernt, Saugen, Schlucken und Atmen so zu koordinieren, dass sie entspannt eine Mahlzeit ohne Stress-Symptome zu sich nehmen können. In der Therapie bei kranken Kindern erarbeitet der Therapeut oder die Therapeutin allmählich durch begleitende Bewegungen der Atemzyklen und Unterstützung der Saugbewegungen sowie zeitgerechtes leichtes Auslösen des Schluckreflexes eine korrekte oder annähernd korrekte Koordination. Das Kind erschöpft weniger schnell und kann mehr Nahrung oral zu sich nehmen. Der Rest der Mahlzeit kann dann sondiert werden, um eine Unterversorgung zu vermeiden.
+ Reduzierung von verlängerten Schluckapnoen durch verbesserte Atmungszyklen
Eine gezielte Atemtherapie zur Stärkung der Atemmuskulatur und Verbesserung der Atembewegungen führt zu einer verbesserten Kontrolle der Schluckapnoen. Der Säugling oder auch das Kind kann gezielter nach der Atempause weiteratmen. Diese Atempausen, Schluckapnoen, sind physiologisch. Bei jedem Schlucken wird in der Zeit des Bolustransportes während der pharyngealen Phase bis der Bolus im Ösophagus ist, der Schutzmechanismus vor dem Aspirieren durchgeführt. Stimmlippen, Taschenfalten und Kehldeckel verschließen die Trachea. In dieser Zeit ist keine Atmung möglich. Die Dauer der Schluckapnoe ist abhängig von der Größe und der Transportgeschwindigkeit des Bolus, dauert aber ungefähr eine Sekunde. Ein längerer Zeitraum führt zu Stress-Symptomen und eventuell zu Sättigungsabfällen. Verbesserte Atemzyklen führen zu einer verbesserten Kontrolle der Schluckapnoen. Diese sind unwillkürlich, aber auch willkürlich herstellbar. Bei Säuglingen wird in der Therapie während des Saugens immer wieder eine Pause eingelegt, wenn die Atmung unruhig wird. Der Säugling kann sich schneller erholen und allmählich kommt ein reguläres Schluckmuster zustande.
Bei vollbeatmeten Kindern muss die Atemfrequenz des Gerätes beachtet und eventuell optimiert werden.
+ Einleitung der physiologischen Kaubewegungen mit rotierenden Unterkieferbewegungen
Physiologisch beginnen Kinder mit ca. acht Lebensmonaten die bis dahin entwickelte Mampfphase mit vertikalen Kaubewegungen in ein Kaumuster mit rotierenden Unterkieferbewegungen umzuwandeln. Sie sind in der Lage erste festere Nahrung zu zerkauen, also zwischen den Backenzähnen zu zermahlen. Kinder mit Einschränkungen der erlebten Nahrungsaufnahme stagnieren hier häufig und brauchen Unterstützung, um die rotierenden Unterkieferbewegungen zu erlernen. In der Therapie wird dies durch geführte Bewegungen eingeleitet. Dazu kann festere Nahrung gegeben werden. Je nach Grad einer vorhandenen Schluckstörung wird mit Kausäckchen gearbeitet, um eine Aspiration auszuschließen.
Logopädische Therapien können Kind und Eltern helfen, schneller in ein dem Kind angepassten Ernährungsschema zu gelangen. Durch Übungen, die auch die Eltern durchführen können, verlieren die Eltern die Scheu davor, dass sie das Kind eventuell überfordern oder verletzen könnten.
Logopädische Therapie sollte frühzeitig und unter Einbezug der Angehörigen stattfinden. So vermeidet man, dass die Kinder zu wenig orale Angebote bekommen und dementsprechend eine orale Deprivation erfahren.
Bettina Genz