Herr Wesberg, 52 Jahre und bereits seit 20 Jahren im Beruf, berichtet aus seinem Arbeitsalltag. Seine besondere Fachausbildung im Bereich der Neurologie, genannt Bobath-Therapie, befähigt ihn in besonderem Maße mit schwerstbetroffenen und pflegeintensiven Patienten zu arbeiten. Vor etwa 18 Jahren wurde er mit den ersten beatmeten Patienten in deren eigener Häuslichkeit konfrontiert. Gerade die Behandlung und lebensbegleitende Therapie bei Patienten mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS) macht eine spätere Beatmungssituation oft unumgänglich. „Ich hatte durchgehend immer ALS-Patienten, das war eigentlich eine Palliativbegleitung bis zum Tod. Patienten, die auch irgendwann mal an der Beatmung lagen. Der Patient hat ja nun mal eine Abnahme der Atmungsleistung. Man weiß, irgendwann liegt er an der Beatmung oder er stirbt. Und von daher gerät man als Therapeut langsam in dieses Thema hinein – von einem Patienten, der erst einmal eine normale Atmung hat. Der Bereich der Physiotherapie deckt Probleme und Funktionsstörungen im Bereich Muskel und Bewegungsapparat sowohl von neurologischer als auch knöcherner Seite ab. Also, vom kleinen Finger, der gebrochen ist, bis zum schwersten Schlaganfall“, berichtet Wesberg. „Die Struktur ist vom Kleinkind – wir haben also auch Therapeuten, die ausgebildet sind, neurologische Störungen bei Kleinkindern zu beheben – bis zur geriatrischen Geschichte, umfasst aber auch palliative Einsätze. Wir haben eine Praxis, d.h. wir haben hier die Ambulanz in der Praxis und die ärztlich verordneten Hausbesuche. Diese werden dann aktiv, wenn der Patient, aufgrund der Schwere der Erkrankung das Haus nicht verlassen kann und somit die Hausbesuche von ärztlicher Seite angeordnet sind. Hinzugekommen sind zudem Patienten, die z.B. in der Beatmung einer 24-h-Pflege unterliegen.
AirMediPlus: Welche spezifischen Voraussetzungen werden benötigt, um den Beruf des Physiotherapeuten zu erlernen?
Wesberg: Das wird sich im Laufe der nächsten Jahre hoffentlich ändern. Normalerweise ist die Physiotherapie eine schulische Ausbildung von drei Jahren. Die können Sie praktisch ab abgeschlossenem 10. Schuljahr machen. Was eigentlich aufgrund der gerade heute geforderten Anforderungen ein Unding ist. Man braucht ein gutes räumliches Denken, Abstraktionsvermögen und motorische Fähigkeiten. Wichtig sind eine gute Wahrnehmung und die Fähigkeit zur Umsetzung des Ganzen. Seit Neuestem gibt`s endlich auch die Hochschulstudiengänge mit Bachelor- und Masterausbildung, wo dann auch z.B. wissenschaftliches Arbeiten gleich mit vermittelt wird. Unsere Praxis ist eine der wenigen Praxen, die in Kooperation mit der HSG (Hochschule für Gesundheit, Bochum) Studenten ausbildet. Das macht nicht jede Praxis, weil dies Mehrarbeit ist. Viele Kolleginnen/Kollegen haben auch Angst, weil Studenten vielleicht auch mehr wissen könnten. Seit mehreren Jahren begleiten wir hier bei uns die praktische Ausbildung der Studenten.
AirMediPlus: Sind für die Behandlung von beatmeten Patienten spezielle Fortbildungen notwendig bzw. gibt es diese für Ihren Bereich?
Wesberg: Ja, gibt es. Sie sind aber nicht immer einfach zu finden. Wichtige Fortbildungen sind in den meisten Fällen neurologisch ausgerichtet wie die Bobath-Ausbildung – die Grundvoraussetzungen hat man meistens schon durch die Ausbildung selbst. Es gibt aber immer wieder Zusatzausbildungen, so z.B. für Prothesenpatienten oder beatmete Patienten, welche auch von Krankenhäusern, physiotherapeutischen Einrichtungen usw. angeboten werden. Das ist ja auch gut zu wissen – wie funktioniert Beatmung – gerade wenn ich mit einem Patienten Atemtherapie machen möchte. Um vielleicht von der Beatmung auch runter zu kommen, muss ich ja schon wissen: ist das jetzt eine durchgehende Beatmung oder ist sie unterstützend? Reagiert sie z.B. auf Lungenvolumina? – was natürlich eine Voraussetzung ist, um damit zu atmen. Man sollte natürlich wissen, was z.B. eine feuchte Nase ist. Wir haben z.B. mit einer Patientin auch Atemtraining gemacht, obwohl sie dazu nicht in der Lage ist – theoretisch – sie es aber schafft, durch Einsetzen der Atemhilfsmuskulatur, sich mehrere Minuten (wenn es ihr gut geht) sozusagen „am Leben“ zu halten. Denn es ist ihr schon einmal passiert, dass im Krankenhaus leider die Kanüle abfiel und sie dann 10 Minuten nicht beatmet wurde und das nur durch eigene Tätigkeit geschafft hatte. Weil sie nicht in der Lage ist zu atmen, konnte sie dann, durch die Aktivität ihrer Schultermuskulatur, die ihr noch gehorcht (und wir das auch vorsorglich schon mal trainiert haben), diese Zeit gerade überbrücken.
AirMediPlus: Wie lang ist der Weg, bis die Patienten das Einsetzen der Atemhilfsmuskulatur beherrschen?
Wesberg: Leider kann man das vorher pauschal nicht sagen. Aber z.B. diese Patientin, die beatmungspflichtig ist, bei der haben wir mehrere Wochen geübt, so dass sie dann schon in der Lage war, sich kurze Zeit zu „beatmen“. Ich möchte jetzt nicht sagen, dass sie atmen kann. Aber viel wichtiger ist dabei natürlich auch der psychologische Aspekt. Dass die Patientin weiß, sie ist nicht ausgeliefert. Sie hat im Kopf “ich schaffe das eine kurze Zeit – ich kann das“. Das ist ja auch ein persönlicher Auftrieb. Bei Patienten, die zusätzlich beatmet werden, sieht es natürlich anders aus. Mit denen kann man reden, die beherrschen natürlich auch Hand- und Beinfunktion und können sich jederzeit wieder selbst an die Beatmung setzen. Mit denen kann man versuchen Atemrichtungsübungen zu machen – Atemlenkung – d.h. man arbeitet im Bereich des Brustkorbes. Man versucht sie so zu mobilisieren und sie so zu leiten, dass sie ihre Beatmung bewusst steuern können, eine Tiefenatmung entstehen lassen oder bestimmte Bereiche der Lunge gezielt beatmen können. So dass sie ihre Atmung kennenlernen und besser verstehen. Das sind alles standarisierte Behandlungstechniken, die es seit vielen Jahrzehnten gibt und die sehr gut funktionieren. Vereinfacht ausgedrückt sind das z.B. auch Techniken, die man mit Mukoviszidose-Kindern macht, wo es ja seit Jahren in der Physiotherapie hervorragende Ergebnisse gibt. Oder auch mit Lungenpatienten, wie bei Asthma bronchiale oder den Bergleuten mit der Staublunge. Diese Varianten kann man auch auf Beatmungspatienten übertragen bzw. spezifisch anpassen, sodass man versuchen kann, die Beatmung runterzufahren und die Eigenatmung anzuregen, was ja gerade bei solchen Leuten ein wichtiger Aspekt ist.
AirMediPlus: Können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?
Wesberg: Ich hatte einen jungen Mann, der aufgrund eines hohen Querschnitts nach einem Unfall nur nachts beatmet wurde und sich tagsüber gut selber halten konnte. Aufgrund des Tiefschlafes ist die Atmung nachts ein Problem gewesen. Er hat seine Schule absolviert, er hatte seinen Assistenten, der ständig bei ihm war, und er hatte die Krankenpflege, die tagsüber bei ihm war. Man brachte ihn zur Schule und auch hinterher zur Ausbildung. Jemand war bereit ihn zu begleiten, war im Umgang vom Ambubeutel bis zum Beatmungsgerät geschult, und abends wurde der junge Mann an die Beatmung angeschlossen. Da war dann abends jemand von der Familien- und Krankenpflege vor Ort, der ihn dann nachts bewachte. Und da haben wir z.B. auch intensiv an der Atmung gearbeitet, weil es für ihn ein wichtiger Punkt war, die Atmung stabil zu halten.
AirMediPlus: Wie sieht, insbesondere bei den Schwerstbetroffenen, die Kooperation mit anderen Fachgruppen und/oder Angehörigen aus?
Wesberg: Wir sehen uns als Team. Unsere Arbeit funktioniert nicht, wenn wir nicht mit Pflegepersonal und mit Angehörigen kooperieren. Das ist z.B. gerade im Bereich der Beatmungspflege – insbesondere im Bereich der Physio- und Krankenpflege, also da wo ich tätig bin, ein absolut tolles Zusammenspiel von Ergotherapeuten, Logopäden, der traumhaft guten Pflege und uns Physios. Dazu kann ich Ihnen gleich ein besonderes Beispiel nennen, wie wir z.B. einer Schwerstpatientin – die eigentlich in eine Reha sollte – diese ersparen konnten und deutliche Effizienz in kürzerer Zeit hatten. Wir behandeln eine Patientin, die aufgrund eines Genickschusses in Höhe 2./3. Halswirbel querschnittgelähmt und beatmungspflichtig ist, die normalerweise 4x die Woche mit einer Doppelstunde therapiert wird. Bei einer Routineuntersuchung im Krankenhaus kam es zu einer Problematik mit der Atmung, wobei die Lungen einrissen. Sie wurde ins künstliche Koma versetzt und sollte eigentlich in eine Reha. Es war aber klar, dass das weder für ihre psychische noch ihre körperliche Situation gut war. Den ambulant Pflegenden ist es nämlich in all den Jahren nie passiert, dass da Beatmungsprobleme entstanden, die aber im Krankenhaus nach einem Tag schon eintraten – mit fast tödlichem Ausgang. Daraufhin kam es in Absprache mit der Krankenkasse, mit den Ärzten und mit dem Landschaftsverband dazu, dass wir Physios – also ich in dem Falle – 7 Tage die Woche diese Dame therapiert haben, die Ergos 3x bis 4x die Woche. Und wir haben mit dem Pflegedienst zusammen ein Programm entwickelt, sodass wir sagten: wir machen diese Reha zu Hause. Ich kam 7 Tage die Woche 2x tgl. zur Patientin; das war auch für mich häuslich eine sehr belastende Situation; meine Frau (auch Physiotherapeutin) konnte ich allerdings als Co-Therapeutin gewinnen. Wir haben die Patientin nachweislich, auch nachweislich von ärztlicher Seite, in drei Wochen fast auf den alten Stand bekommen. Und das hat nur funktioniert durch die Kooperation von Physio- Ergo- und Logotherapie sowie der Pflege. Der Nebeneffekt war eine enorme Ersparnis für alle Seiten.
AirMediPlus: Das ist ein gutes Beispiel für notwendige Teamarbeit, die nur mit einem multiprofessionellen Team funktionieren kann.
Wesberg: Wir haben noch ein sehr schönes Beispiel bei eben genannter Patientin. Sie hat ein Stehbett, und das Problem war, aufgrund des hohen Querschnitts, die Instabilität der Fußgelenke. Man kann für sehr viel Geld teure Prothesen machen lassen, aber es gibt auch die Möglichkeit eines Casts. Ein Cast sieht aus wie eine Art Kunststoffverband (ein Verband, der mit einem Kunstharz getränkt ist), nach 15 Minuten aushärtet und sich mit der Schere bearbeiten lässt. Wir haben zusammen mit dem Pflegedienst und mit den Ergotherapeuten Schienen gebaut. Dann mussten wir nochmals neue Schienen bauen, weil sich aufgrund der Verbesserung der Patientin die Fußstellung verbessert hat, sodass die alten Schienen nicht hinreichend waren. Und diese Schienen sind deutlich günstiger als eine Orthese und sind praktisch nach 15 Minuten und noch 10 Minuten Bearbeitungszeit sofort einsetzbar. So konnten wir für die Patientin Lagerungs- Fußschienen bauen und noch extra Standschienen. Die sind relativ günstig. So eine Verpackung mit 10 Verbänden liegt, glaube ich, bei 200 € und man braucht ungefähr einen Verband pro Fuß und einen alten Socken, den man zerschneidet. Die Schienen haben wir speziell angepasst, für den Stand und für die Lagerung zur Spitzfußprophylaxe. Was die Krankenkasse übrigens gar nicht weiß. Da geht ja kleiner hin und sagt „liebe Krankenkasse, wir sparen euch jedes Mal ein paar hundert Euro“. Aber noch einmal zur Zusammenarbeit. Es kommt auch durchaus vor, dass der Pflegedienst zwischendurch anruft und sagt: „du, ich habe da mal eine Frage“. Wir sagen dem Pflegedienst immer: „bitte löchert uns, wir sind dafür da“, wir sind zwar in erster Linie dazu da, den Patienten zu behandeln, aber wenn wir euch Sachen vermitteln können, dient das der Behandlung des Patienten. Und umgekehrt, haben wir auch enorm viel von den Pflegediensten gelernt.
AirMediPlus: Vielen Dank, Herr Wesberg, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Es war ein sehr interessantes und aufschlussreiches Gespräch.
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